Gärtnerspiele im Menschenpark
Zu einem brisanten Werkzyklus von Gudrun Reubel
Ein Haupttabu nicht nur christlich-abendländischen
Denkens ist gebrochen. Auf schamlose Art und Weise, möchte
man sagen, denn alles, was mit Biotechnologie, Gen-Entschlüsselung
und Reproduktionsmedizin zu tun hat, wird längst nicht mehr
hinter abgedichteten Laboratoriumstüren diskutiert. Die Manipulation
des Lebens selbst ist beinahe tagtäglich gelieferter Nachrichtenstoff
- was niemand wirklich aufregt. Denn lange schon haben sich die
Massen daran gewöhnt, im innersten Kern veränderte Lebensmittel
zu konsumieren und geklonte Tiere als Kunststücke der Wissenschaft
und Showstars der Medien zur Kenntnis zu nehmen.
Die Trägheit sowohl der informierten Masse als auch der ideologischen
Gegenpositionen zur offensichtlich angestrebten Allmächtiqkeit
der Science-Götter überrascht nicht. Der Eingriff ins
Lebenszentrum berührt offenbar die eigene Existenz nicht und
ist kaum mit Emotionen besetzt. Man hört, sieht, staunt und
geht zur Tagesordnung über. Das ist ein eingeschliffenes Verhaltensmuster,
das sich vor und nach allen Katastrophen jenseits der eiqenen Haut
wiederholt. Holocaust - eine schreckliche, aber ferne Geschichte.
Millionenfache Tierabschlachtungen, Verbrennungen, achtstelliqe
Vierbeiner - Verbrauchsraten für Kosmetikkonzerne und Forschung
- nicht viel mehr als ein Zweiminutenhorror am Fernsehschirm, vor
dem der Nachrichensprecher dann noch ausdrücklich warnt. Die
Wahrheit ist den Menschen offenbar nicht mehr zumutbar, war es vielleicht
nie. Die Wirtschaft vergisst schnell und kehrt bequemerweise wieder
zum profitablen Produktionswahnsinn zurück. Das Gärtnerspiel
im Schöpfungs- und Menschengarten mit all seinen Varianten
von der Plünderung und Patentierung von Gen-Ressourcen der
Dritten Welt durch Globalkonzerne, über die Genomentschlüsselung
bis zur Embryonenforschunq provoziert hauptsächlich Kirchenmänner.
Dann ist aber schnell Schluss mit öffentlichen Bedenken außerhalb
religiöser Vorbehalte.
Überraschenderweise schalten sich weniqe Künstler in den
Diskussionsprozess ein, denn sogenannte brennende "Menschheitsfragen"
üben anscheinend kaum Leidensdruck auf den Einzelnen aus. Sie
sind offenbarr doch zu abstrakt, um gestalterische Bewaltigunqsprozesse
auszulösen.
Eine der höchst seltenen Künstlerstimmen zu diesem Thema,
das doch in aller Munde ist, erhebt Gudrun Reubel in ihrem jüngsten
Werkzyklus.
Gelegentlich führt der Zufall Regie bei genialischen "Inszenierungen",
die exakt den empfindlichsten Nerv der Zeit treffen. Ein überraschender
Fund von einigen Kartons voller Plastik-Püppchen war im vorliegenden
Fall konkreter Auslöser für die Künstlerin, den angestammten
Bereich der Druckgraphik und Malerei zu verlassen und ins ästhetisch
schwierige Reich der Objektkunst vorzustoßen.
Gudrun Reubel brennt das Thema des reproduzierbaren Menschen und
aller damit zusammenhängenden fundamentalen Fragestellungen
seit langem unter den Nageln. Ohne bestimmte konfessionelle Fixierung
legt sie den Finger in eine Wunde, die sich auch für Annostiker
und Verstandesmenschen auftut, denen die Genesis nichts bedeutet
- denen aber die dunkle Geschichte der Medizin und wahnerfüllte
politische Ereignisse vor nur wenigen Generationen im Bewusstsein
sind.
Die künstlerische Umdeutung eines nostalgisch wirkenden Industrieproduktes
- nämlich der Minipuppen - ruft alles das in Erinnerung, was
an faschistischem Normierungswillen und biologischen Multiplikationsvorhaben
mit gereinigten "Lebenszutaten" erdacht und auch praktiziert
worden ist. An sich harmlose Gliederpüppchenhaufen erzeugen
Unbehagen. Auch in heutigen, scheinbar restlos aufgeklärten
Zeiten, in denen sich altes, unausrottbares Euthanasiedenken in
den humanistisch-wissenschaftlichen Faltenwurf der Fortschrittsmedizin
kleidet.
Gudrun Reubel ist Kritikerin von Klontechniken und anderen Methoden
der Modellmenschenherstellung in Teilen und im Ganzen, die nichts
anderes ist als "Zuchtwahl" mit Mitteln avanciertester
Technologie.
Aber in erster Linie ist sie Künstlerin. Sie weiß, dass
Kunst immer Rätselcharakter hat und niemals Philosophie- Religions-
und Naturgeschichtsunterricht ersetzt. Kunst mit Belehrungswillen
und allzu großer Lebensnähe ist meist schwer erträglicher
Kitsch. Die Sphäre des Künstlerischen erhebt sich aus
der Distanz zum Leben, so altmodisch diese Forderung heute, nach
Popart, neuem Realismus und der Entdeckung der Fotografie und des
Films als Kunstmittel auch klingen mag.
Gudrun Reubels Arbeiten schockieren, weil sie realistisch und assoziationsgeladen
sind und Schreckensbilder der Vergangenheit und vielleicht auch
der Zukunft hergaufbeschwören. Bei aller Drastik im Handwerklichen
und Thematischen besitzen sie formale Qualitäten. Nur dadurch
vermögen sie zu überzeugen. Heute und auch morgen, wenn
andere Problemfelder des Lebens akut werden sollten.
Dr. Anton Gugg
Kulturpublizist
|